Wer dieser Tage Zeitungen liest, fern sieht oder natürlich auf Twitter die Augen offen hält, kommt an Edward Snowden nicht vorbei. der Mann, der das Überwachungsprogramm PRISM ‚geleaked‘ hat, hat innerhalb weniger Tage geschafft, wofür die Netzgemeinde jahrelang vergeblich gekämpft hat: Überwachung zum Diskussionsthema Nr. 1 zu machen. Unabhängig davon, ob man ihn als Held sieht (ja, das tue ich), ihm Asyl gewähren würde (ja, das würde ich) oder eher als verräter sieht (Nein, tue ich nicht. Stauffenberg war auch kein Verräter, Kampf für die Demokratie und gegen staatliches Unrecht muss erlaubt sein!), diesen verdinets kann man ihm nicht absprechen. Aber was haben wir davon? Bisher nichts. Unserem Innenminister gehen wir nur auf den Senkel, die Piraten scheinen kurz davor zu stehen, auch diesen Elfmeter wieder zu verschießen. Auch in der öffentlichen Meinung konnte die Netzgemeinde (ab jetzt: wir.) sich noch nicht wirklich durchsetzen. Mal davon abgesehen, dass in einigen Online-Umfragen sozialistische Mehrheiten dafür stimmen, Snowden Asyl zu gewähren, tolerieren doch immer noch erstaunlich viele MitbürgerInnen die ständige Überwachung. Das ist das erste, was mich ankotzt. Die USA sehen uns als verbündeten dritter Klasse, spionieren uns (mit Hilfe der deutschen Geheimdienste!) aus und andere Länder machen eifrig mit – aber keinen störts. Immer noch bleiben die Proteste aus, immer noch werden VDS und BDA geduldet. machen wir uns nichts vor, außerhalb von Twitter und der Blogosphäre ist kaum jemand zu finden, der sich über die Überwachung empört. Tausendfach hört man die Argumente „es dient nur unserer Sicherheit“ oder auch „wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten“. Diese Auffassungen sind denkbar kurzsichtig. Zum einen gilt: Wer die Freiheit aufgibt, um die Sicherheit zu schützen, wird am Ende beides verlieren. Zum anderen setzen diese Argumente voraus, dass ich meinem Staat bzw den überwachenden Stellen uneingeschränkt vertrauen kann. das das utopisch ist, brauche ich kaum zu erwähnen. Wer dem Staat alle Daten Preis gibt, scheint keine Probleme mit absoluter Kontrolle zu haben, egal von wem – oder ein unglaubliches Vertrauen, dass niemals die Falschen regieren werden. Wo bleibt sonst die Empörung, die digitale Selbstverteidigung, die Proteste und Großdemos?
Der zweite Punkt, der mich gerade ankotzt, ist die unsägliche Doppelmoral unserer PolitikerInnen, die ich speziell bei der SPD schon angeprangert habe. Landauf, landab hörern wir mehr oder weniger halbherzige Empörungsrufe von allem und jedem über die unsägliche Überwachung. Und im gleichen Atumzug fordern unsere Volksvertreter mehr Überwachungsmaßnahmen auch in der BRD oder vergessen zumindest, dass unserer Politik weite Teile der Schnüffelei schon bekannt waren oder gar von uns unterstützt wurden. Solch schizophrene, verlogen Haltungen sieht man sogar in der Politik selten. Und trotzdem bleibt auch hier die Empörung aus. Otto Normalbürger scheint entweder nicht zu merken, dass er hier nach Strich und Faden verarscht wird, oder es ist ihm egal. Viele scheinen ein so unumstößliches Vertrauen in unseren Staat zu haben, dass sie deutsche Überwachung für weniger schlimmm als amerikanische oder britische halten. Leider gilt nicht immer, dass Made in Germany für Qualität steht – Überwachung ist überall schlecht.
Der letzte Punkt, der mich gerade unglaublich aufregt, folgt teilweise aus den vorhergehenden: Ich kann es nicht mit ansehen, wie die Netzgemeinde, die Parteien und insebesondere die Piraten diese Situation einfach vorüber ziehen lassen. Sicherlich, ich habe oben selbst erläutert, wie wenig sich die meisten MitbürgerInnen echauffieren, daher ist es auch schwer, politischen Nutzen aus der Affäre zu ziehen. Aber können wir einfach ein Worst-Case-Szenario vorbei ziehen lassen, ohne daraus politisch Profit zu ziehen? Da wäre etwas, als wären die Grünen nach Fukushima weiter im einstelligen Prozentbereich geblieben. Unvorstellbar, oder? Der Super-GAU, die Kernschmelze in DEM Kompetenzbereich der Netzgemeinde (und damit der Piraten) und nichts passiert! Wo ist der Aufschrei, wo sind die purzelnden Umfragewerte der Koalition, wo gehen die Piraten auf große Kaperfahrt? Besonders den Piraten muss ich das ankreiden. Sie schreiben sich die Rettung des Internets auf die Fahnen und sind im entscheidenden Moment nicht zur Stelle. „Wo sind die Piraten?“, fragt völlig zurecht auch die Zeit. Sollte es dabei bleiben, dass diese Partei nur um sich selbst kreist, statt sich des Themas so richtig anzunehmen und in der Öffentlichkeit damit durchzustarten, hätten sie in meinen Augen versagt. Das sollte für alle unpiratigen Netzgemeindemitglieder allerdings kein Grund zur Freude sein. Denn mit dem Piratenschiff versinkt gerade die gesamte Flotte der Netzpolitik.
P.S.: Ich entschuldige mich für die wahre Sturmflut maritimer Metaphern am Ende des Artikel… 😉
P.P.S.: Update, 04.07., 23:20h: Meine Kritik an den Piraten ist nicht so gemeint, dass ich ihnen vorwerfe, nichts zu tun. Aber: Zum Ersten tun sie vielleicht das falsche, um offline wirklich wahrgenommen zu werden. Zweitens drehen sie sich zu viel um sich selbst, das hilft der öffentlichen Wahrnehmung nicht. Drittens ist da immer noch die Presse, in der sich die Piraten mühsam ein schlechtes Image aufgebaut haben (oder es aufgebaut bekommen haben), das macht es wirklich schwer für sie, daraus Profit zu ziehen. Auch das regt mich ungemein auf. Aber irgendwas läuft falsch, wenn ich bei den Google-News unter den Stichworten „PRISM Politiker“ auf der ersten Seite nichts über Piraten lese.
Slash
Die Piraten machen mehr gegen den Überwachungsskandal, als alle anderen Parteien zusammen.
– das einzige verdammte, umfassende Gegenkonzept, in Bezug auf diesen Überwachungsskandal im Raum steht – ein 6-Punkte-Plan, getragen von der globalen Piraten-Bewegung: http://antiprism.eu/de
– etliche Demos, Crypto-Partys, parlamentarische Initiativen, Pressemitteilungen, TV-Auftritte, Radio-Interviews, etc. – https://sgpresse.piratenpad.de/ep/pad/view/ro.7Byes1o8Z3ubf97C/latest
– Eine Petition für ein Vertragsverletzungsverfahren gegen England wegen Tempora: http://stopwatching.de/
– Parlamentarische Pressekonferenz zur anstehenden Offensive in der nächsten Plenar-Sitzung des Landtags NRW: http://youtu.be/fTmMlU2QQSQ
– die Piraten im isländischen Parlament arbeiten gerade an einem Gesetz, dass Snowden isländische Staatsbürgerschaft garantiert
– ich könnt‘ ewig so weiter machen
Wirf‘ uns vor, dass wir unseren Widerstand nicht gut genug bündeln, aber wirf uns nicht vor, dass wir kaum was machen. Was uns momentan am meisten zu schaffen macht ist, dass Außenstehende auf uns rumbashen, dass wir Piraten nichts machen; dadurch verlieren auch die letzten den Mut, irgendwas zu machen. Und dann wundert sich auf einmal jeder, dass nichts passiert. Vielleicht sollte man dann nicht auf die rumbashen, die nach ihren Möglichkeiten den erbittertsten Widerstand gegen Überwachung leisten – nur so ein Gedanke…
DerAuenlaender
Ok, unpräzise formuliert: Ich werfe euch nicht vor, dass ihr nichts tut. Ich werfe euch vor, dass ihr das nicht genug nutzt. Ihr gehört zu den wenigen, denen man bei der Überwachung politisch noch trauen kann, aber ihr schafft es irgendwie nicht, politisch Kapital daraus zu schlagen. Was ich schade finde. Aber es liegt leider nicht nur an der öffentlichen Meinung, sondern auch an euch…
Slash
Ja, da hast du definitiv Recht.
DerAuenlaender
Habe nochmal ein kleines Update zu den Piraten angefügt, um Missverständnisse zu vermeiden 😉
Katy
Die Großdemo findet am 07.09.2013 um 13.00 Uhr in Berlin am Potsdamer Platz statt. Diesbezüglich habe ich dir heute schon auf die Mailbox gesprochen. Evlt. können wir ja morgen noch telefonieren…
Beste Grüße
Katy von Digitalcourage.de
freiheitstattangst.de
DerAuenlaender
Sorry, habs heute nicht mehr geschafft. Rufe morgen an!
Wolfgang Ksoll
Eine Nebenbemerkung zu Stauffenberg. In Nürnberg sind deutsche Füheungskräfte verurteilt worden, weil sie einen verbrecherischen Angriffskrieg geführt haben. Stauffenberg war als Adeliger begeisterter Offizier. Er hat seinem Führer mit flammenden Herzen geholfen, Kriegsverbrechen zu begehen. Rechtswidrig ist er unter Rommel in Belgien einmarschiert (rattenscharf angetörnt durch die schnellen Erfolge des Blitzkrieges, wo man mit Panzern über fremde Völker herfiel. Für die Ehre eiens deutschen Offizier eiegtnlich ein unwürdiges Unterfangen, Kriegsverbrecher zu unterstützen), hat Afrika mit der Nazipest überzogen. Als dann die großmäuligen Militärs merkten, dass sie sich übernommen hatten und den Krieg nicht gewinnen konnten, rotteten sie sich zusammen, um Hitler zu ermorden, um dann eine Militärdiktatur zu errichteten, was ihnen auch nicht gelang. Der rechte Rand gibt Millionen aus, um Stauffenberg als Kämpfer für die Demokratie hinzustellen. Für Snowden ist das eine Beleidigung, mit einem solchen Kriegsverbrecher in einen Topf geworfen zu werden. Es gibt heute gute Literatur, wie die Wehrmacht die Nazis bei ihren Verbrechen mit flammenden Herzen unterstützt hat. Snowden macht das Gegeteil, er will keine Militärdiktatur wie Stauffenberg, sondern die Grundwerte der amerikanischen Verfassung wieder ind en Vordergrund stellen, die dazu gefürht haben, dass viele US-Soldaten ihr Leben gelassen haben, um uns von Verbrechern wie Stauffenberg zu befreien.
DerAuenlaender
Danke für die Info. Aber es geht mit hier ja auch um die Wahrnehmung der beiden in der Öffentlichkeit, da wärs ja schon schön, wenn die von Snwoden wie die von Stauffenberg wäre.
metaphora
Die Piraten machen durchaus was (Petitionen, Demos, Infostände, Aktionen). Es wird allerdings von den Medien kaum wahrgenommen.
Vorschlag: Komm doch mal beim nächsten Piratenstammtisch vorbei und lass uns zusammen was machen. 🙂
DerAuenlaender
Bezweifel ich ja wie gesagt nicht, nur die Wirkung bleibt aus 😉 Und danke fürs Angebot, wenn mir die Zeit reicht, mache ich das sogar. Aber keine Hoffnungen machen: Werde wohl nie Pirat. 🙂
metaphora
Das ist nicht schlimm. 🙂 Zu uns kann jeder kommen, der sich für Datenschutz und Bürgerrechte interessiert. Wir haben morgen übrigens einen Infostand zu Prism in WHO (ab 14:00, Fußgängerbrücke).
@netnrd
Ich habe da mal geranted, was wir (Piraten) so alles tun, speziell zu Prism und Tempora:
http://www.daniel-schwerd.de/die-piraten-machen-ja-nichts-zu-prism-und-tempora/
…und das trotz allem behauptet wird, wir täten nichts. Überleg doch bitte mal, was Google News ist und wer da Input liefert. Und warum die Piraten da nicht erscheinen.
DerAuenlaender
Dein Blogpost war ein Grund für mein Update. Und es kotzt mich halt an, dass es so ist, wie es ist. Das man von euch nichts hört. Die Piraten sind daran nicht unschuldig, aber natürlich liegt hier bei der Presse viel im Argen. Aber man macht sichs als Pirat imho uz einfach, wenn man nur da nach dem Grund dafür sucht. Vor allem hat man dann keinen Grund, irgendwas anders zu machen. Und dann schreibt mit Sicherheit weiterhin niemand über eure (wirklich respektablen!) Aktionen…