Gedanken nach Paris

Es ist inzwischen einige Tage her, dass ich abends mit der SPON-Eilmeldung zu „Schüssen in Paris“ eingeschlafen und morgens in einer Art Albtraum aufgewacht bin. Wir alle wissen, was am Freitag in Paris passiert ist und vermutlich jeder macht sich seine Gedanken dazu. Ich habe mich lange zurück gehalten damit, auf Twitter, Facebook oder hier über die Ereignisse zu berichten. Ich fühlte irgendwie, dass nichts, was ich zu sagen hätte, der Sache gerecht würde und wollte vor allem erstmal über diese Ereignisse nachdenken, statt im Affekt darüber zu schreiben. Inzwischen habe ich mir aber ein paar Gedanken zu der neuen (?) Situation gemacht, die ich euch mitteilen möchte.

Interessant und leider auch teilweise erschreckend fand ich zuallerst, wie viele Menschen auf Facebook oder in anderen sozialen Medien auf die Anschläge reagiert haben. Es ist verständlich, dass Menschen in einer solchen Ausnahmesituation verstört sind, und wenn sie ihre Gefühle verarbeiten wollen, indem sie eine – für andere eventuell nicht weiter hilfreiche, nach Ansicht mancher sogar unnötig nationalistische – Frankreichflagge über ihr Profilbild legen wollen, ist das auch verständlich. Wer Toleranz einfordert, sollte auch diese Reaktion tolerieren und nicht verurteilen. Es geht hier in vielen Fällen vor allem einfach darum, dass die Menschen sich besser fühlen, wenn sie ihr Mitgefühl und ihre Solidarität mit den Opfern irgendwie zum Ausdruck bringen können! Das sollten wir einfach respektieren, auch wenn uns bunte Profilbilder sachlich natürlich nicht weiter bringen.

Genau so verständlich ist es auch. dass Menschen mehr Betroffenheit zeigen, wenn ein Anschlag in Paris passiert, wo schon viele von ihnen vermutlich im Urlaub waren, als wenn einer in Beirut passiert. Es mag sein, dass viele derer, die dieses Verhalten kritisieren, das mit der guten Absicht tun, die Menschen im Libanon nicht vergessen zu wollen. Aber wer von denen hat nach dem Anschlag in Beirut dafür gesorgt, dass darüber berichtet wird, wer hat sich da dafür interessiert? Das wurde auch für diese Menschen erst wichtig, als andere ihre Betroffenheit über die Geschehnisse in Paris zum Ausdruck brachten. Meines Erachtens ist Trauer ein sehr persönlicher Prozess und es sollte sich von allein verbieten, anderen Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie damit umzugehen zu haben.

Eine Reaktion, die ich von sehr vielen hochgeschätzten Menschen – vermutlich in bester Absicht – gelesen habe, war „Wir brauchen jetzt keine Gebete für Paris – nicht noch mehr Religion!“, oder wahlweise auch nur „Gegen religiöse Freaks!„. Abgesehen davon, dass auf die Sache mit den Gebeten alles zutrifft, was ich oben schon über Trauer geschrieben habe: Von der Argumentation, Religion im Allgemeinen sei am Terrorismus Schuld, ist es nur ein kleiner Schritt hin zu „Der Islam ist Schuld“. Wenn wir richtigerweise zwischen Islam und Terror trennen, muss uns bewusst sein, dass das konsequenterweise auch eine Trennung zwischen Religion und Terror sein muss!

Wie es zu erwarten war, haben rechte Spinner auf Facebook, in den Medien, in Bayern, Dresden und in der Redaktion der Welt versucht, dieses Ereignis zu instrumentalisieren und gegen Flüchtlinge auszuspielen. Ich denke, dass das kaum eine Erwähnung wert ist. Diese Leute gab es vorher schon, und vermutlich wird es sie immer geben. Gefährlich wäre es, wenn die Stimmung in der Bevölkerung allgemein kippen sollte: Wir dürfen niemals vergessen, dass diese Menschen, die zur Zeit bei uns um Schutz bitten, diesen vor genau solchen Terroristen suchen! Der größte Teil der Opfer des IS-Terrors weltweit sind Muslime in arabischen Ländern. Diesen Menschen müssen wir helfen!

Es steht zu befürchten, dass es eines der Ziele des IS ist, die Stimmung gegenüber Flüchtlingen in Europa kippen zu lassen. Eine islamistische Terrororganisation hat es einfach leichter, Kämpfer gegen eine islamophobe Kultur zu finden als gegen ein offenes, tolerantes Europa, dass zwischen Terrorismus und Islam differenzieren kann! Umso wichtiger ist es, dass wir in der Konsequenz besonnen, mit Solidarität und mit Toleranz reagieren. Es sollte uns bewusst sein, dass die Anschläge vom Freitag, 13. ein Angriff auf unsere Freiheit und unsere Grundwerte waren. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Attentäter mit diesem Angriff erfolgreich sind. Das bedeutet, dass wir unser Grundwerte in der Reaktion auf den Terror insbesondere nicht selbst aufgeben dürfen! Wenn wir unsere Freiheit oder unsere Toleranz einschränken, haben die Terroristen ihr Ziel erreicht und gewonnen. Das ist die größte Gefahr! Das bedeutet auch, dass wir behutsam und vorsichtig bei der Forderung nach neuen Sicherheitsgesetzen oder -instrumenten sein müssen. (Am Rande: Die triumphierende Feststellung, dass den Franzosen die VDS ja auch nichts genutzt hätte, besonders nur wenige Stunden nach dem Anschlag, finde ich trotz inhaltlicher Richtigkeit auch verdammt geschmacklos.)

Ähnlich sieht es aus, wenn wir alle davon reden, dass jetzt „Krieg“ herrsche oder „nach Paris alles anders“ sei. Solche Rhetorik nützt niemandem, sie verunsichert und verängstigt nur und lässt uns in der Folge weniger überlegt handeln. Uns allen dürfte etwas rhetorische Abrüstung gut tun; auch wenn wir uns bewusst sein sollten, dass es nur damit leider icht getan sein dürfte. Ich bin kein Freund militärischer Maßnahmen, sehe aber wenig Hoffnung, den IS ohne Krieg besiegen zu können. Bleibt abzuwarten, inwiefern sich Deutschland daran beteiligen wird… Darüber sollte man m.E. diskutieren, wenn sich alle Gemüter beruhigt haben. Eine Situtaution wie die jetzige begünstigt Populismus und der ist in Bezug auf Kriege verdammt gefährlich.

Liberté, égalité, fraternité! Vive l’Europe!

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