Während die uns regierende Große Koalition, noch bevor sie 100 Tage im Amt ist, schon durch ihre erste Regierungskrise schlittert, gibt es aus ihren Reihen zur Zeit wieder ein paar Neuigkeiten zu meinem Lieblingsthema Netzneutralität. Tilo Jung hat im Rahmen seiner YouTube-Sendung „jung und naiv“ die GroKo-Politiker Jens Koeppen (CDU) und Lars Klingbeil (SPD) vor der Kamera gehabt und genau dazu befragt. Die Antworten sind durchaus interessant und helfen, den Stellenwert der im Koalitionsvertrag immerhin erwähnten Netzneutralität für die aktuelle Regierung einzuordnen.
Zuerst sagt Koeppen einige wichtige Dinge: Erstens sieht er zur Zeit keinerlei Verletzungen der Netzneutralität in Deutschland, zweitens gibt es, unter anderem deshalb, für ihn hier auch keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf und drittens gibt er einen ernüchternden Einblick, was man als Unions-Netzpolitiker unter einem neutralen Netz versteht: Diensteklassen, in die man sich einkaufen kann, und unterschiedliche Übertragungsqualitäten sind völlig ok, solange sich jeder Anbieter gegen Bezahlung priorisieren lassen darf. So weit waren wir unter schwarz-gelb auch schon, teilweise sogar weiter. Damit wird auch deutlicher, was der Koalitionsvertrag mit der Formulierung „Das sogenannte Best-Effort-Internet, das für die Gleichberechtigung der Datenpakete steht, wird in seiner Qualität weiterentwickelt und darf nicht von einer Vielzahl von Managed Services“ verdrängt werden.“ sagen möchte: Zu viele Diensteklassen wären doof, ein paar wenige sind aber schon in Ordnung. Ebenfalls traurig ist, dass Koeppen mit dem lange widerlegten (Schein-)Argument der Telemedizin kommt. Ich hätte erwartet, dass ein Antennentechniker und Elektro-Ingenieur, der stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ist, weiß, dass solche Dienste schon jetzt über eigens angelegte, gesonderte Netze laufen.
Lars Klingbeil stellt sich dann schon etwas besser dar: Er erinnert Koeppen an den Koalitionsvertrag und dass man dort beschlossen habe, die Netzneutralität im Gesetz zu verankern. Bleibt zu hoffen, dass er und seine Genossen sich damit intern durchsetzen können – ich bezweifle es aber, schließlich haben wir bis heute keine konkreten Pläne zur Umsetzung gehört. Verwunderlich auch, dass Klingbeil ebenfalls der Meinung ist, Netzneutralität sei der Status Quo. Mich würde interessierne, wie Klingbeil das im mobilen Bereich einschätzt (Stichwort Spotify-Deal) oder was er zur Erreichbarkeit von YouTube im Telekom-Netz sagt…
Insgesamt also ein eher ernüchternder trauriger Eindruck von der neuen Regierung, letztendlich aber vermutlich sowieso egal: Die wahre Entscheidung über die Netzneutralität wird wohl bald das EU-Parlament fällen. Dass es dort besser wird, glaube ich aber spätestens nach diesen Erkenntnissen aus Berlin nicht mehr.