Wir TübingerInnen haben ja fast schon eine Tradition, unserer Partei mehr oder weniger ungefragt Ratschläge zu erteilen und zu denken, wir wüssten, was gut für sie ist — meistens besser als die anderen. Das gilt für die Piraten mit Sebastian Nerz wie auch für die Grünen mit OB Boris Palmer. Diese Reihe möchte ich gerne fortsetzen, auch wenn es „meine“ Partei nicht gibt. Aber jedeR sollte wissen, dass ich den Grünen nahestehe, deswegen werde ich zu dieser Partei meinen Senf dazu geben. Den Anlass dazu gab ein Blogpost, den Lucas Gerrits mit Can Erdal geschrieben hat.
Zuerst einmal muss man sich klar werden, wo die Grünen gerade stehen. Allen sollte bewusst sein, dass die Bundestagswahl eine krachende Niederlage für die Partei mit sich brachte, die weitere bei Landtagswahlen zur Folge haben könnte. Die Grünen müssen diese Niederlage akzeptieren, aus diesem Grund sehe ich sowohl schwarz-grün als auch rot-rot-grün gerade sehr kritisch. Beide Bündnisse wären m.E. nicht die richtige Konsequenz aus dem Ergebnis und könnten den Grünen auch schaden.
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Wenn man sich darüber im Klaren ist, wo die Grünen stehen, sollte man nach den Gründen dafür suchen. Das Problem dabei ist, dass die Grünen bei so etwas schnell in Flügelkämpfe verfallen. Entweder sind zur Zeit die parteilinken Schuld, die das Steuerkonzept initiiert haben, dieschwarz-grün ausgeschlossen haben und die Grünen zu weit links positioniert haben – oder die Realos, die rot-rot-grün ausgeschlossen haben, die nichts gegen das Steuerkonzept getan haben und und und. Die Folge: Öffentliche Streitereien über Personen, wie ich sie bisher nur von den Piraten kannte. Bald dürfte man damit auch in Umfragen in Bereichen landen, die man bisher nur von Piraten kannte… Ich versuche deswegen mal, einige Gründe aufzuführen, die meiner Meinung nach den Wahlmisserfolg verursacht haben:
- Das Steuerkonzept. Über seine Richtigkeit lässt sich streiten, ich halte Steuererhöhungen für sinnvoll und notwendig, das Wahlvolk wohl nicht. Zumindest nicht in der Form, die man aus der Presse als Normalbürger erfahren hat. Diese Pläne wurden völlig falsch kommuniziert, die Abschaffung des Ehegattensplittings trifft sogar wirklich die Kernklientel. Das hat viel Stimme gekostet.
- Die Pädophilendiskussion. Hier kommen zwei Faktoren zusammen: Die Grünen haben in der Vergangenheit schwere Fehler gemacht (andere allerdings auch) und sie arbeiten Fehler gründlich und öffentlichkeitswirksam auf. Letzteres ist löblich, kann in der Öffentlichkeit aber schädlich sein, weil das Thema in de Fokus gerückt wird.
- Ein fehlendes Grünes Konzept. Die Grünen haben sich im Wahlkampf besonders breit aufgestellt, meinten zu jedem Thema etwas sagen zu können. Man hat Ihnen das nicht abgenommen, dafür fehlte jetzt das Konzept, der Zukunftsentwurf, für den die Grünen stehen.
Aus diesen drei Fehlern sollte man lernen. Das bedeutet, dass auch diejenigen, die diese Fehler begangen haben, persönliche Konsequenzen ziehen müssen. Einige haben das schon getan, ich finde aber, dass noch mehr junge, unverbrauchte Gesichter kommen müssen! Das hat nichts mit ihren Kompetenzen zu tun, es ist einfach Zeit für einen Neuanfang bei den Grünen. Dieser lässt sich nur vermitteln und schaffen, wenn neue Köpfe Verantwortung übernhemen. Dann stellt dieser Neuanfang eine Chance dar.
Inhaltlich muss man den Menschen jetzt wieder eine Grüne Vision vermitteln. Das heißt, es muss jedem klar sein, wofür die Grünen stehen. Dabei sollte man nicht in Flügelkämpfe verfallen, keine Koalitionen ausschließen oder sich frühzeitig festlegen. Die Position der Grünen sollte nicht besonders links oder besonders bürgerlich sein, sondern fortschrittlich.
Was Deutschland jetzt mehr denn je braucht, ist eine Partei, die für die Freiheit steht. Spätestens seit dem Wegfall der FDP auf Bundesbene haben Bürgerrechte und echter Liberalismus im Sinner der persönlichen Freiheit jedes Einzelnen keine Lobby mehr. Nationaler Liberalismus und wirtschaftlicher Neoliberalismus werden von AfD und FDP noch gut abgedeckt, für Bürgerrechte setzt sich hauptsächlich eine Splitterpartei namens Piraten ein. Freiheit bedeutet aber nicht, dass ich tun und lassen kann, was ich wil, sondern auch, dass anderen ermöglicht wird, genau so frei zu leben. Freiheit im grünen Sinne ist weder die Freiheit der Banken, noch die Freiheit der Reichen – genau so wenig wie die Freiheit, mordend durch die Straßen zu ziehen. Es ist die Freiheit jedes Einzelnen, die im Privaten beginnt und dort aufhört, wo die Freiheit jedes oder jeder Anderen beginnt. Damit ist dieses Thema eine echte Chance der Grünen, inhaltlich etwas zu besetzen, wofür nur sie stehen. Gemeinsam mit den Grünen Kernthemen Nachhaltigkeit/Ökologie und Solidarität/Verantwortung kann daraus eine echte Vision stehen: Die, von einer Welt, in der die Menschen in echter Eigenverantwortung unter Rücksicht auf Natur und Mitmenschen leben.
Dazu muss aber auch jedem klar sein, dass dieses Ziel nur erreicht wird, wenn man die Menschen von der Richtigkeit überzeugt. Was nicht funktionieren kann, ist die bisher leider oft zumindest wahrgenommene, teilweise auch gelebte, arrogante Haltung „Wir wissen, was gut für euch ist – und zwingen es euch deshalb auf.“. Dieses Motto ist weder freiheitlich, noch ursprünglich Grün, noch gegenüber den WählerInnen vertretbar.
Die Grünen müssen sich von der Idee lösen, die Welt zu ihrem Glück zwingen zu können. Sie müssen den Menschen Anreize schaffen, Grüne Ideale zu leben. Das heißt zum Beispiel: Statt Veggieday jeden Tag vegetarisches UND nicht vegetarisches Essen in Kantinen – wenn es das Angebot gibt, werden sicher schon mehr Leute zum fleischfreien Essen greifen. Sie dazu zu zwingen, ist der falsche Weg. Auch, wenn es nur einmal pro Woche ist! Ähnliches gilt übrigens für nächtliche Alkoholverbote und andere Grüne Aufreger-themen.
Wenn die Grünen von der Richtigkeit einer Idee überzeugt sind, sollten sie davon auch andere Überzeugen – nur so kann die Grüne Vision erreicht werden.
Diese neue Grüne Freiheit würde aber eben auch bedeuten: Sich dafür einsetzen, dass auf allen gesetzgeberischen Ebenen die Freiheit des Individuums geachtet und geschützt wird. In der heutigen Zeit muss diese Freiheit besonders im Internet, vor Überwachung und ausufernder staatlicher Kontrolle geschützt werden. Die NSA, PRIMS, Edward Snowden und die immer wiederkehrenede Vorratsdatenspeicherung sind Themen, bei denen die Freiheit einen echten Fürsprecher benötigt. In letzter Zeit hat das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit gefährliche Schlagseite in Richtung der sog. „Sicherheit“ bekommen & es sieht wahrlich nicht danach aus, als wolle die große Koalition das ändern. Groß droht hier vor allem die Überwachung zu werden. Hier müssen die Grünen als Korrektiv wirken – und sich eben auch nicht scheuen, Koalitionen mit der CDU einzugehen, um Schlimmeres zu verhindern. Leitlinie sollte dabei immer ein Bonmot sein, das Benjamin Franklin zugeschrieben wird: „Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren.“
„Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren.“ – Benjamin Franklin
Eine Politik nach diesem Maßstab ist nicht nur dringen nötig, sie ist auch eine, die eben die Chance darstellt, eine Art Marktlücke im Kampf um Wähler zu finden. Nur eine Partei, bei der klar ist, wofür sie steht, wird gewählt. Bei den Grünen muss das mehr denn je der Dreiklang aus Freiheit, Solidarität und selbstverständlich Ökologie sein.
Ich persönlich sehe die Grünen dahingehend auf einem guten Weg, nicht zuletzt dank der Initiative „Grüne Freiheit“, die sich als unabhängiger Grüner Think Tank versteht und die Partei auf genau dem Weg voran bringen will. Für mich selbst bedeutet das: Ich werde die Entwicklung weiter genau beobachten, kritisch hinterfragen und Stellung dazu nehmen. Vor allem aber möchte ich ein Versprechen machen: Wenn sich, inhaltlich und personell, zeigt, dass es die Grünen mit ihrem Neuanfang ernst meinen, werde ich der Partei beitreten. Ich sehe das als Chance, die Grüne Zukunftsvision mitzugestlten, zu entwickeln und mehrheitsfähig zu machen.
Grünes Freheitspapier gestartet | Neues vom Auenlaender
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